Band 45: Eintrag vom  18. Mai 1843 (Nr. 322)

Eintragsübersicht (Band, Sitzung)

Transkription

 

Seitdem überall in der Provinz eine gesteigerte Theilnahme an den ständischen Verhandlungen sich offenbart, empfinden auch die Bewohner der hiesigen Stadt täglich schmerzlicher das beschränkte Maaß der Vertretung, welches denselben nach den bisher zur Anwendung kommenden Grundsätzen bei Berathung der Landes-Angelegenheiten eingeräumt ist.

Nach der Allerhöchsten Verordnung vom 13. Juli 1827 , wurde die Stadt Neuss mit den Ortschaften Grevenbroich, Wevelinghoven, Gladbach, Viersen, Dahlen, Odenkirchen, Rheidt, Ürdingen, Kempen, Süchteln, Dülken und Kaldenkirchen nur zur Wahl Eines Abgeordneten auf dem Rheinischen Landtage vereinigt, und es ist seither eine Erweiterung dieser Wahlbefugniß nicht eingetreten.

Die Stadt Neuss, eine alte historische Stadt, leitet ihren Ursprung bis in die Zeiten hierauf, wo die Römer ihre ersten Niederlaßungen am Rhein gründeten. Zuerst römisches Lager hob sie allmählig sich zur römischen Munizipalstadt. Durch verschiedene Großthaten, und insbesondere durch die heldenmüthig abgewiesene Belagerung Karls des Kühnen, Herzog von Burgund, erwarb sie sich einen rühmlichen Namen in der Geschichte, und wesentliche Verdienste um Kaiser und Reich, wofür sie von dem damaligen Landesherrn mit Privilegien und Begünstigungen reich begabt wurde. Unter andere hatte sie ihr eigenes Münzrecht, ihre Civil und Criminal-Gerichtsbarkeit,

[Nächste Seite] Und sie stand daher in einem Verhältniß, welches Reichs-Unmittelbarkeit nahe kam. Der Hanse [beige-] treten, genoß sie alle Vortheile und Freiheiten [der] Städte, welche zu diesem Bunde gehörten. Ihr Einf[luß] auf die Angelegenheiten des Landes war stäts bedeutender. Bis in die letzten Zeiten besch[ickte] der Churcölnischen Landtag mit dreien Deputierten aus ihrer Mitte, und unter den Städten des Nied[erstif-] tes führte sie auf demselben den Vorsitz, woher denn auch damal die Benennung: Haupt und Con[sis] torial Stadt geworden. In der jüngern Epoche bl[ieb sie] ebenfalls hinter den Forderungen der Gegenwart zurück, indem sie neben der Förderung des geistigen Fortschrittes durch verbesserte Schul- und sonstige Anstalten seit einer Reihe von Jahren sich die Aufg[abe] stellte, durch Creirung kostspieliger CommunicationsMittel auch in der Reihe der Handelsstädte einen vollen Platz zu gewinnen. Schon haben begünstigt diese Bestrebungen, Handel und Gewerbthätigkeit sich in ihr zu solcher Bedeutsamkeit erhoben, daß Königs Majestät, nach vorhergegangener Erörterung des Bedürfnißes, sie noch vor Kurzem zum Sitz [eines] Haupt- Steuer- Amtes mit allen Vorrechten eines Freihafens zu bestimmen geruhten. Bei dem Vor[han-] densein von manchen großartigen industriellen Anlagen und Etablißements sehen wir diese Gewerb[tä-] tigkeit noch täglich in fortschreitender Entwicklung [be-] griffen, und so können wir mit begründeter Hoffnung erwarten, daß unsre Stadt, bei den fortdauernden Segnungen des Friedens und der gestiegenen [Regsamkeit] [Nächste Seite] ihrer Bewohner zu immer größerer Wichtigkeit und Ausdehnung gelange. In ihrem ansehnlichen PatrimonialVermögen steht sie von wenigen Städten der Monarchie übertroffen.

Die numerische Anzahl der Bevölkerung ist es wohl nicht allein, welche ausschließlich den Maaßstab der Theilnahme an den ständischen Berathungen abgeben kann, sondern auch große geschichtliche Erinnerungen, frühere Wichtigkeit, und das auf historischem Boden gewurzelte Verhältniß zur alten Landes-Vertretung mögen dabei nicht außer Betracht bleiben.

Hohe Stände-Versammlung wird es daher auch begreiflich finden, daß die hiesigen Bewohner sich eines schmerzlichen Gefühles zu erwehren nicht vermögen, wenn sie ihre einst im Lande so hochgestellte Stadt bei der gegenwärtigen Vertretung mit vielen andere Orten zusammen geworffen, und so gewissermassen zu politischer Unthätigkeit verurtheilt sehen, während dieselbe auf den frühern Churfürstlichen Landtagen drei eigene Stimmen hatte, und hindurch einen selbstständigen unmittelbaren Antheil an den Berathungen der wichtigsten Interessen des Landes zu nehmen berufen war.

Solche Rückblicke auf eine große Vergangenheit müssen natürlich den Wunsch erzeugen, auch in der Gegenwart eine der Vorfahren würdige Stellung im öffentlichen Leben einzunehmen. Wir die gesetzlichen Repräsentanten der Gemeinde fühlen uns demnach lebhaft gedrungen, Hohe Stände-Versammlung angelegentlichst um geneigte Befürwortung zu bitten:

Daß es seiner Majestät dem Könige gefallen wolle, der hiesigen historisch wichtigen Stadt welche

[Nächste Seite] gegenwärtig zu einer alljährlich steigenden Bevölkerung von 9309 Seelen angewachsen [ist] und durch ihre jetzige commerzielle Wichtigkeit [end- oder täg-] lich an Bedeutung zunimmt in Rücksicht auf [ihr] Verhältniß zur frühern Landes-Vertretung eine besondre Stimme im Stande der rheinischen Städte Allergnädigst zu verleihen.

Dieser Bitte gestatten wir uns noch die zweite, da zusammenhangend, anzuschließen; es möge Hohe Stande- Versammlung sich bewogen finden, Allerhöchster Ortes den unterthänigsten Antrag zu ste[llen]:

Daß die Befugniß zur Wahl, und die Bedingung zur Wählbarkeit im Stande [der] Städte nicht allein auf Grundbesitz in notwendiger Verbindung mit der Betr[ei-] bung eines bürgerlichen Gewerbes beschränkt sondern auch auf Grund und Hausbesitz [ohne] das Erforderniß des Gewerbbetriebs ausgedehnt, dabei aber zugleich der Intelligenz und den Capacitäten eine angemessene Betheiligung an der Landes-Vertretung eingeräumt werde.

Es hat dieser Wunsch in der ganzen Provinz einen so übereinstimmenden Anklang und Ausdruck gefunden, und es ist solcher in den Verhältnissen derselben, wie in den Anforderungen der Zeit so tief begründet, daß wir uns näherer Ausführung der dafür sprechenden Mot[ive] enthalten können, und in Ehrfurcht zeichnen:

Neuss den 18. Mai 1843. Hoher Stände-Versammlung[Nächste Seite] ganz gehorsamster Bürgermeister und Stadtrath, von Neuss. gezeichnet: Adam Breuer, Diederich Bremenkamp, Gruben, Hermann Joseph Schmitz, Dr. Conrad Rheindorf, Franz Heinrich Esser, Alois Hahn, Arnold Tillmann, Peter Reinartz, Peter Anton Frowein, Ahrweiler, Joseph Kayser, Joseph Huppertz, Johann Baptist Ibels, Heinrich Thywissen, Franz van Endert, Adam Hesemann, Reiner Broix, Adolph Linden, Peter Schumacher, Jacob Pantzer, Arnold J? Zimmermann, Jacob Le Hann, Degreeff,