Band 58: Eintrag vom  17. Februar 1879 (Nr. 1670 )

Eintragsübersicht (Band, Sitzung)

Transkription

 
2. Bildung von Innungen

In Betreff der Errichtung von Handwerkerinnungen, worüber die Stadtverordnetenversammlung sich aussprechen soll, referirte der Stadtverordnete Josten wie folgt:

Die Bedeutung des gewerblichen Vereinswesens für die Besserung der gewerblichen und socialen Verhältnisse, anerkennen wir mit Sr. Excellenz dem Herrn Handelsminister, und würden wir uns mit großem Interesse einer Wiederbelebung der Innungen zuwenden, wenn wir uns von einer solchen unter den gegenwärtigen Verhältnissen etwas Erhebliches und Dauerndes versprechen könnten. Sr. Excellenz der Herr Handelsminister hebt in seinem betreffenden Schreiben vom 4 Januar cr. zwar ferner, daß die Gewerbeordnung vom 21 Juni 1869, wenn sie auf die Innungen ihres Charakters als öffentlich-rechtlicher Corporationen im wesentlichen entkleidet habe, demnach den Vereinigungen der Handwerker eine sichere Grundlage gewähre, auf welcher eine kräftige EntwicklungEntwickelung sehr wohl möglich sei. Sie habe nicht nur die vorhandenen Innungen mit Corporationsrechten fortbestehen lassen, sondern gestatte auch jeder Vereinigung von Genossen desselben oder verwandter Handwerke sich als Innung mit Corporationsrechten zu constituiren u.s.w.

Von dem Einflüsse der allgemeinen Bestimmungen der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 ganz absehend, halten wir auch im Gegensatze zu Sr. Excellenz eine Reform der gesetzlichen Bestimmungen resp. Einzelner über die Innungen für nothwendig, wenn Letzteren wieder eine sichere Grundlage und einflußreichere Stellung gesichert werden soll. Wir wollen diejenigen Bestimmungen der Gewerbeordnung, welche uns ganz besonders eine Wiederbelebung der Innungen als zwecklos, ja als unmöglich erscheinen lassen, ihrem Wortlaute nach hier anführen:

[Nächste Seite] 1. § 84 alinea 1. sagt: Vorbehaltlich der vorstehenden Bestimmung § 83, darf der Eintritt in eine Innung Keinem versagt werden, welcher die in dem Statute vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt hat.

Welches sind nun die Bestimmungen des § 83 ? Von dem Eintritt in eine Innung - so heißt es - können diejenigen ausgeschlossen werden: a welche die bürgerliche Ehre verloren haben b. welchen die Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit untersagt ist c. welche sich im Concurs befinden.

Diese Bestimmung ist offenbar eine viel zu enge. Außer vorbezeichneten Leuten, gibt es noch viele, kann es wenigstens noch viele geben, die eine Innung nicht gerne als Mitglieder haben möchte, denen aber nichts destoweniger die Aufnahme in die Innung nicht versagt werden dürfte. Dieser Paragraf bietet einer Innung wohl nichts weniger als eine sichere Grundlage, verhilft ihr auch nicht zu einer einflußreichen Stellung. Jedes Mitglied einer Innung muß ein ehrenhafter, achtungverdienender Mann sein.

2. Die beiden alin. 2. und 3. des § 84 handeln von dem Falle, daß die Statuten einer bestehenden Innung die Aufnahme von dem Bestehen einer Prüfung abhängig machen.

Alin. 4 bestimmt dann: die Ablegung einer Prüfung kann von demjenigen nicht gefordert werden, welcher das betreffende Gewerbe mindestens seit einem Jahre selbstständig ausübt.

Wollte man also jetzt Innungen gründen, so müßten alle Pfuscher mit aufgenommen werden, welcher Umstand die tüchtigen Meister davon abhalten würde, in die Innung einzutreten.

3. § 82 besagt: Jedes Mitglied einer Innung kann jederzeit, vorbehaltlich der Erfüllung seiner Verpflichtungen ausscheiden, und darf das Gewerbe nach dem Austritte fortsetzen.

Die Innung selbst bietet den Mitgliedern also nicht den geringsten Vortheil. Was sich in der Innung erreichen läßt kann viel sicherer noch in einer freien Vereinigung von tüchtigen

[Nächste Seite] Handwerksmeistern erzielt werden, z.B. Regelung des Lehrlingswesens sowie das der Gesellen, Hebung der sovielfach geschwundenen Autorität, Weckung des Gemeinsinns und der Standesehre, tüchtige technische Leistungen u. s. w.

Nach diesem Referate wurde die Angelegenheit von der Stadtverordnetenversammlung eingehend besprochen und erörtet, und es vermochte dieselbe sich für Errichtung von Handwerkerinnungen nicht aussprechen, weil die gegenwärtige Gewerbegesetzgebung nicht dazu angethan sei, den Innungen eine gedeihliche und sichere Grundlage zu verleihen.