Band 52: Eintrag vom  29. März 1860 (Nr. 595)

Eintragsübersicht (Band, Sitzung)

Transkription

 
1. Errichtung einer Ursuliner-Filiale.

Die Commission für die schwebende Angelegenheit wegen Errichtung einer höheren Töchterschule hierselbst in Verbindung mit einem Pensionat hat sich in mehreren Sitzungen mit dieser Sache befaßt, und dem Stadtrathe als Resultat ihrer Berathungen und der überdies gepflogenen mündlichen Unterhandlungen mit dem Orden der Ursulinerinnen [?] Folgendes vorgetragen: Mit Rücksicht auf die in der Sitzung vom 12. Merz courant von einer Seite erhobenen Zweifel, ob es in hiesiger Stadt einer erweiterten höheren Unterrichts-Anstalt für die weibliche Jugend bedürfe, hat die Commission es für nothwendig gehalten, vor jeder Prüfung des ihr vorliegenden Materials, zunächst die Frage zu erörtern, ob die gegenwärtig im Waisenhause bestehende höhere Elementarklasse dem Bedürfnisse genüge, oder ob es nicht vielmehr den hiesigen Verhältnissen entspreche, eine ausgedehntere höhere Töchterschule mit Recht wünschen zu müssen. Diese Frage findet nach der Ansicht der Commission schon hinlänglich dadurch [eingefügt:ihre Beantwortung,] daß das Bedürfnis einer gehörig eingerichteten Töchterschule bereits vor länger als 30 Jahren

[Nächste Seite] von der Stadt anerkannt werden, daß die Stadt sich damals, wo die Bevölkerung mehr als ein Drittel weniger als heute betrug, gern zu einem Opfer von jährlich 300 Thlr verstanden hat, welches später dahin verstärkt wurde, daß sie außer einem unentgeldlichen Lokale einen baaren Zuschuß zur Töchterschule von 125 Thlr leistet, dann aber weiter darin, daß über die jetzige höhere Mädchenschulklasse allgemein wegen unzureichender Einrichtung respective wegen unzureichender Gelegenheit zur nöthigen und wünschenswerthen Ausbildung der weiblichen Jugend Klage geführt wird. Was vor 30 Jahren Bedürfniß gewesen, werde man heute, wo die Bevölkerung und der allgemeine Wohlstand sich seitdem wesentlich gehoben haben, nicht mehr als solches wegleugnen können. Die Commission glaubt daher sich nach Überzeugung und mit Entschiedenheit einstimmig dafür aussprechen zu müssen, daß die gegenwärtig vorhandene höhere Mädchenklasse für die Verhältnisse der Stadt Neuss nicht genüge, daß vielmehr das Bedürfniß in dringendem Maaße vorliege, eine zweckmäßiger eingerichtete höhere Töchtershule sobald wie möglich hier ins Leben zu rufen.

Die Commission war demnach zur Berathung der verschiedenen Projekte und Propositionen wegen der Verwirklichung eines solchen Unternehmens übergegangen. Von dem Orden der Ursulinerinnen zu Ahrweiler waren der stadträthlichen Deputation bei deren Anwesenheit daselbst bestimmte Grundlagen für ein mit der Stadt zu treffendes Übereinkommen angegeben worden, wornach die Errichtung einer höheren Töchterschule mit einem Pensionate durch genannten Orden schon ehestens sich würde ausführen lassen. Die angestellten Informationen bei dem Franziskanessen-Orden auf Nonnenwerth sowie bei jenem des heiligen Kreuz zu Lüttich haben ergeben, daß bei diesen beiden Orden eher auf weniger günstige als auf günstigere Bedingungen für die Errichtung einer Filiale zu rechnen sei, daß aber beide Orden für die ersten Jahre sich noch nicht in der Lage befinden, die Errichtung einer Filiale hierselbst vornehmen zu können. Eine nähere Unterhandlung mit diesen beiden Orden würde sonach für die Zwecke der Stadt nicht förderlich sein, und es dürfte sich dieselbe daher nun so mehr dafür entscheiden, sich lediglich mit dem Orden der Ursulinerinnen in näheres Vernehmen zu setzen, als diesem Orden hinsichtlich seiner Leiszungen für Erziehung und Jugendbildung die glänzendsten Zeugnisse von competenten Behörden und Autoritäten zu Seite stehen.

Die Commission hat nicht verfehlen wollen, auch die angeregte Errichtung einer durch weltliche Lehrerinnen zu besetzenden höhere Töchterschule in nähere Erwägung zu ziehen. Die Ausführung dieses Planes ließe sich ohne erhebliche Opfer

[Nächste Seite] und bedeutende stete Zuschüsse Seitens der Stadt nicht bewerkstelligen, und es wäre noch immer fraglich, ob ein Privat-Institut gegenüber dem anerkannten Rufe der Ordensschwestern in Ansehung der Jugendbildung, sich auf die Dauer würde behaupten können. Namentlich dürfte als sicher anzusehen sein, daß ein PrivatInstitut weniger auf auswertige Zöglinge respective auf Pensionnire Rechnung machen könnte, und daß dadurch seine Existenz jedenfalls schwieriger als jene eines geistlichen Ordens sein würde. Die Majorität der Commission war daher auch hier der Ansicht, daß dem Ursuliner-Orden nur einem Privat-Institute unbedenklich der Vorzug zu geben sei.

Auf Grund der Statt gehabten Unterredungen mit den OrdensVorstande zu Ahrweiler hat die Commission Präliminarien zu einem Vertrage zwischen dem Ursuliner-Orden und der Stadt aufgestellt, nach deren Annahme der Erstere eine höhere Töchterschule mit einem Pensionate hierselbst errichten, und den Unterricht dreier Elementarschulklassen übernehmen würde. Die Stadt hätte darnach derm Orden das zu 16000 Thlr. käufliche Sels'che Lokal auf der Niederstraße zur Nutznießung zu überweisen, ein Zimmer für die Pförtnerin und einen Betsaal einrichten zu lassen, was ca. 1000 Thlr. erfordern würde, und auf drei Jahre eine jährliche Subvention bis zu 700 Thlr zu leisten, wogegen sie für Lehrerinnengehälter nichts zu verausgaben haben würde. Der Orden wäre auf zwölf Jahre gebunden, und für die Stadt blieb nach fünfundzwanzig Jahren ebenfalls eine Kündigung vorbehalten.

Die Acquisition des genannten Lokals Seitens der Stadt anlangend, so bemerkt die Commission, daß dasselbe sehr geräumig, baulich gut erhalten und mit einem großen Garten versehen ist, daß die Stadt selbst für den unerwarteten Fall, daß die Ursuliner-Filiale hier eingehen sollte, in welchem Falle dasselbe an die Stadt zurückfiele, Nachtheil durch den Ankauf nicht erleiden könnte. Wegen Abtragung seien Gebr. Sels bereit, ausgedehnte Fristen zu bewilligen.

In finanzieller Beziehung stellen sich die obigen Vorbedingungen so einem Vortrage mit dem Orden für die Stadt günstig, indem dieselbe eine jährliche Zinsenauslage von dem Capitale der zur Nutznießung zu überweisenden Räumlichkeiten respective der Zubuße von ca. 860 Thlr. (: 4½ % von 19000 Thlr :) zu machen, während sie auf der andern Seite 700 Thlr. an Gehältern für drei zu ersparende Elementarlehrerinnen weniger auszugeben hätte. Die Stadt wurde demnach mit einem jährlichen Opfer von nur 160 Thlr in den Besitz einer vorzüglichen höheren Töchterschule gelangen, während sie früher zu einem solchen Institute 300 Thlr und

[Nächste Seite] mehr jährlich an Zuschuß hergab. Wollte die Stadt nun jährlich 2 % des Anlage-Capitals zur allmählichen Amortisation und zu Reparaturen verwenden, so wurde der jährliche Zuschuß sich nun 340 Thlr höher stellen, nämlich auf 500 Thlr, dagegen wurde die Stadt mit der Zeit sich des großen Vortheils erfreuen, daß ihr die höhere Töchterschule und drei Elementarschulklassen nichts kosten. Die Commission, welche dem Gegenstand sorgfältig und aufs reichlichste erwogen hat, erlaubt sich daher den aufgestellten Präliminarien als im wohlverstandenen Interesse der Stadt liegend der Stadtverordneten-Versammlung dringend zur Annahme zu empfehlen.

Nachdem die aufgestellten Punktationen verlesen worden, referirt die Commission weiter, wie die Abschließung des Vertrages nach deren Annahme durch dei Stadtverordneten-Versammlung noch nicht gewiß sei; es würden solche nach deren Acceptation zunächst dem Ordens-Vorstande übermittelt werden, und gehe dieser auf die Bedingungen ein, so wurde derselbe vorerst das Gebäude besichtigen lassen, und die Erklärung abzugeben haben, ob solches genehm wäre. Erst nach diesen Schritten könne die definitive Abschließung des Vertrages erfolgen.

Es wurde der Calcül über die Berufung der Ursulinerinnen sowie bei Anstellung weltlicher Lehrerinnen entstehenden Kosten näher erörtert, wobei sich ergeben, daß eine durch weltliche Lehrerinnen besetzte zweiklassige Töchterschule mit weit größeren Auslagen für die Stadt verbunden sein würde, als eine Ursuliner-Filiale, und zum Schlusse von der Commission folgende Anträge gestellt: 1. Die Stadtverordneten-Versammlung erkennt das Bedürfniß einer zweckmäßiger eingerichteten höheren Töchterschule an ; 2. Dieselbe spricht sich dafür aus, daß behufs Befriedigung dieses Bedürfnisses die Errichtung einer höheren Töchterschule unter Zugrundelegung obiger Punktation dem Ursuliner-Orden übertragen werde; 3. Dieselbe möge sich mit oben vorgeschlagenen Punktationen einverstanden erklären und die Commission beauftragen, auf Grund dieser Bedingungen mit dem Orden in weitere Unterhandlung zu treten. 4. Falls diese Bedingungen Seitens des Ordens acceptirt und das vorgeschlagene Haus von demselben als zweckmäßig und geeignet anerkannt werden sollte, wolle die Versammlung die Commission autorisiren, mit dem Orden definitiv zu contrahiren.

Nach Eröffnung der Debatte wurde zunächst hervorgehoben, daß die vorgebrachten Klagen gegen die höhere Töchterschule im Waisenhause nicht begründet seien, daß viele Eltern sich mit

[Nächste Seite] den Leistungen derselben sehr zufrieden erklärten, daß übrigens sowohl die weltliche wie die geistliche Behörde dieser Schule bisher zu wenig Beachtung geschenkt haben, und derselben die gewünschte Erweiterung gegeben werden könne, wenn die Stadt ihr nur einen angemessenen Zuschuß bewilligen wollte, wie dies den früheren höheren Töchterschule gegenüber geschehen sei. Auf diese Weise habe die Stadt nicht nöthig, durch Ausführung des angeregten Projektes sich in neue bedeutende Schulden zu stürzen. Hieran knüpften sich Anträge, daß voererst die städtische SchulCommission über die höhere Töchterschule im Waisenhause vernommen werden möge. Dem entgegen wurde vorgetragen, daß die Stadtverordneten-Versammlung beim Beginn der Verhandlungen über die Einführung von Ursulinerinnen selbstverständlich von der Belassung dieser Schule abgesehen habe, denn eben letzterer Umstand sei die Veranlassung gewesen, sich mit den verschiedenen Orden und insbesondere mit den Ursulinerinnen in Unterhandlungen einzulassen. Auch sie zu berücksichtigen, daß der Orden vom armen Kinde Jesu dazu höheren weiblichen Unterricht nicht zu seinem Berufe zähle, und daher aus diesem Grunde schon nicht diejenigen Leistungen von demselben erwartet werden können, wie von den Ursulinerinnen. Die angeknüpften Verhandlungen könnten demnach um so eher fortgesetzt werden, als die Aufhebung der jetzigen Töchterschule für das Waisenhaus keinen pekuniairen Verlust darbiete.

Im Verlaufe der ferneren Berathung kann zuerst ein von dem Stadtverordneten Therkatz gestellter Antrag zur Absimmung, dahin gehend, daß vor Entscheidung der Bedürfnißfrage ein Bericht der städtischen Schul-Commission und der stadträthlichen Fachkommission über die im Waisenhause bestehende Töchterschule eingeholt werden möge, welcher Antrag indessen von der Versammlung nicht angenommen wurde.

Demnach wurde der erste Antrag der Commission, lautend: " die Stadtverordneten-Versammlung erkennt das Bedürfniß " einer zweckmäßigen eingerichteten höheren Töchterschule an. zur Abstimmung gebracht, welcher ebenfalls nicht die Majorität der Versammlung fand, hiergegen wurde ein von dem Stadtverordneten Weise gestellter Antrag" die Stadtverord" neten-Versammlung erkennt das Bedürfniß einer zweck" mäßig eingerichteten zweiklassigen höheren Töchterschule an, " in welcher nur Kinder Aufnahme finden, welche mit dem " Zeugnisse der Reife aus der Elementarschule entlassen sind, mit überwiegender Majorität angenommen. Imgleichen wurde ein weiterer Antrag des Stadtverordneten Weise zum Beschluß erhoben, dahin gehend, die städtische Schul-Commission

[Nächste Seite] über die Zweckmäßigkeit der Einrichtung einer solchen zweiklassigen Töchterschule um geeignete Vorschläge zu ersuchen, wobei dieselbe sich namentlich darüber aussprechen wolle, ob die jetzige Schule zu verbessern, ob der Unterricht vielleicht besser einem andern Orden zu übertragen sein dürfte, oder ob am geeignetesten weltliche Lehrerinnen zu berufen seien.